Der Wald der traurigen Augen

img_4100Ich habe schon viele Bücher gelesen, in denen es hiess Die Bäume raschelten, sie tuschelten miteinander. Oder Unzählige Augen folgten mir, unsichtbare Augen, mit leuchtenden Irissen und dunklen Pupillen. Sogar in Schneewittchen fürchtet sich die Hauptperson vor unheimlichen Kreaturen. In Der Herr der Ringe beginnen die Bäume doch tatsächlich, Menschen zu fressen und in Avatar gibt es sogar einen heiligen Baum.

Gestern waren wir, das heisst meine Eltern, Marie und ich, in den umliegenden Bergen wandern. Der Wald, der das Gestein bedeckt wie ein grüner Pelz, unterscheidet sich im wesentlichen nicht von den Schweizerwäldern, auch wenn die Luft trockener war, die Sonne heisser und die Vögel, die zwischen den Ästen herumflogen, waren keine Amseln und Rotkehlchen, sondern Gray Jays, Stellar’s Jays und Nutcracker.

Statt Lärche und Arve reihen sich hier Zitterpappeln und Fichten aneinander. Was mich besonders fasziniert hat, waren die augenförmigen Narben, die die abgestorbenen Äste der Zitterpappeln auf der weissen Rinde hinterlassen. Doch nicht nur die Zitterpappel schienen uns tuschelnd zu beobachten. Kleine Baumstümpfe in Koboldform starrten grimmig zu uns hoch, die Moosbärte der Fichten kitzelten uns an den Köpfen und Eichhörnchen bewarfen uns (ich übertreibe nicht!) mit angenagten Tannenzapfen.

Ich empfand diese Wanderung als erregenden Einblick in die Welt, die vor so vielen Jahren den Indianern und ihren Naturgeistern gehörte und freue mich auf den Herbst, wenn die Zitterpappeln sich in eine gelbe, wogende Menge verwandeln werden.

Hannah

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